Gleich hinter Oschatz ist das Meer

„Eeeey, ab in den Süüüden… der Sonne hinter her, eo was geht? Der Sonne hinterher, eo was geht?“ Maiki schaltete das Radio aus, bevor Buddys Songtext ihm als Ohrwurm das Hirn zerfressen konnte. Auf dem Weg zum Strand hatte er die Autofahrt mit offenem Fenster, Sonnenbrille und lauter Musik genossen. Er war mit Schwung durch die Serpentinen gerauscht und hatte doch fast jede Haltebucht für einen Stopp genutzt, Fotos eingefangen und Erinnerungen gesammelt. Die Landschaft erschien ihm wie ein atemberaubendes, nicht enden wollendes Sommerkino und der Held dieses Roadmovies war er. Nur kurz dachte er an die Jungs, die er am Pool bei ihrem schönen kühlen Feierabend-Radler zurückgelassen hatte. Das Bassin am Hotel wurde generalüberholt. Das Wasser fehlte seit Tagen. Er konnte die Jammerei seiner Kumpel am Beckenrand - „Wenn doch der Pool endlich fertig wäre! - nicht mehr hören. Im Gegenteil. Er fuhr los, wollte das Alleinsein genießen, obwohl das sonst so gar nicht sein Ding war.

Schon im August vergangenen Jahres hatte er einen Strandkorb reserviert und freute sich über seine Findigkeit, hatte die Rechnung aber nicht mit den anderen Sonnenanbetern gemacht! In seinem Zweisitzer hockte ein zersaustes, junges Fräulein. Zumindest kam ihm diese Anrede als erstes auf die Lippen. „Junges Fräulein…“, setzte er an,  wagte aber nichts mehr zu sagen, als sie ihn mit ihren dunkelbraunen Augen unter fransigen Pony heraus fixierte. Es war keine Zeit für Entrüstung und Widerworte. Sie sagte: „Lass uns ein Spiel spielen. Nenn‘ mir drei Worte mit S am Anfang, schnell!“

Sommer…, Sonne…., ähm…. Sandstrand…“, stammelte Maiki. „Sag du mir drei mit P“, forderte er seine Kontrahentin auf. „Pizza, Pasta, Palmen“, kam es wie aus der Pistole geschossen (was genaugenommen schon vier Worte mit P sind). „Jetzt was mit M“, startete Maiki in die nächste Runde. Die Windsbraut feixte, zögerte keine Sekunde: „Muscheln, Meer und Mango-Eis.“ „Du hast Ideen“, bewunderte Maiki sein Gegenüber: „Und überhaupt, was machst du in meinem Strandkorb?“ „Ich habe am Meer ein schattiges Plätzchen für den Liegestuhl gesucht – aber den Stuhl vergessen“, und bevor sie auch noch den eigenen Namen vergessen konnte, schob sie nach: „Ich bin Karline.“

Karlinchen ist mit dem Fahrrad durch den Sand gestrampelt, war sich Maiki sicher. Jetzt lag das Klapprad in der Sonne, auf dem Badetuch, welches das Strubbelmädchen vorher ausgebreitet hatte. Die Farbe blätterte schon ab und statt einer Klingel, war eine kleine künstliche Sonnenblumenblüte mit Basteldraht befestigt. Am Rahmen entzifferte Maiki einen alten Aufkleber: „Weil Kirschen nicht an Palmen wachsen, bleib ich doch lieber hier in Sachsen.“ Unter dem Bügel des Gepäckträgers klemmte eine Kokosnuss. „Was hast du denn mit der vor“, fragte Maiki. „Heute Nacht träumte mir, ich müsse eine Kokosnuss haben. Mit ihr zu einem Wasserfall fahren und dann aus der Nuss einen Cocktail trinken. Aber auf dem Weg zur Ostsee kam ich nicht an einem Wasserfall vorbei.“ Maiki war sprachlos. Er ging für sich die Reiseroute durch. Sie waren mehrere Tage gefahren und konnten nirgendwo anders, als in Italien sein, tausende Kilometer weit weg - von der Ostsee. Statt nachzufragen, nickt er bedächtig mit dem Kopf. Sie zuckte mit den Schultern und bot ihm ihren Platz an und ging zu den Kieselsteinen in unmittelbarer Nähe. Dort, wo der Sand an unwägbares Gelände angenäht war, trat sie vornübergebeugt vorsichtig mit spitzen Zehen von einem Hühnergott auf den anderen. „Was wird das?“, rief Maiki. „Ich suche den Duft von Sonnencreme. Vielleicht haben es aber auch die Glühwürmchen aus lauen Nächten bis hierhergeschafft.“

Er starrte zu ihr herüber und sah, wie Karlinchen zurückkam. Sie trällerte wie ein Vögelchen: „Es ist Sommer und es ist heiß, da ess‘ ich ein Zitroneneis. Kostet es auch teures Geld – Zitroneneis ist meine Welt.“ Karlinchen kannte die Songzeilen auswendig, enttarnte sich als Ärzte-Fan. Maiki war begeistert. „Mit einem Aperol könntest du jetzt bei mir punkten“, sie deutete mit der Hand auf die Kühlbox. Maiki kramte darin herum, zog die Flasche heraus und goss den italienischen Likör, dessen Farbe wie ihre Haare im Sonnenlicht glänzten, in zwei Miniaturgläser. Komplette Verwirrung beschreibt nicht das Gefühl, welches in Maiki tobte. Von allen Maikirschen, die ihr jemals begegnet waren, wunderte er sich am schönsten. Volltreffer. Mitten ins Herz. „Das ist der Weg zum großen Glück, dachte Karline und: „Eines Tages werden wir den Campingwagen aus der Garage holen und ab in die Natur brausen. Mit dir, aber nur mit dir möchte ich in Zukunft bei Radler und Grill in den Sternenhimmel blicken und dem Zirpen der Grillen lauschen.“ „Dann braucht es jetzt nur noch die schützende Hand von ganz oben, entgegnete Maiki. Gedankenlesen war ein spontanes Geschenk des Himmels. „Bis dass der Tod uns scheidet“, flötete das Sommermädchen und malte ein Herz in den feuchten Sand…

 

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